„Ich schreibe, um das Leben zu feiern"

Doris Dörrie wird 70: Leben, schreiben, weitergehen

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Von Autor/in Nina Wolf

Von Anfang an wollte sie hinaus in die Welt und davon Erzählen. Doris Dörrie, Filmemacherin, Autorin, Chronistin weiblicher Innenräume, wird 70 Jahre alt. Ein Porträt.

Ihre erste Erinnerung, sagte Doris Dörrie einmal, sei die der Tapete neben ihrem Kinderbett: schwarze Hände auf weißer Raufaser.

Ein schlichtes, unspektakuläres erstes Bild der Welt einer Frau, die es sich in ihrem Leben zur Aufgabe gemacht hat, in fremde Sphären einzutauchen und die Geschichten ebenjener zu erzählen.

In diesem Kinderzimmer mit durchschnittlicher bundesdeutscher Raufasertapete begann also das Leben dieser außergewöhnlichen Autorin und Filmemacherin. Seit dem Blick auf die Raufasertapete sammelte Doris Dörrie viele weitere Bilder, Erinnerungen und Ideen – am 26. Mai wird sie 70 Jahre alt.

Sie ist eine der bekanntesten deutschen Regisseurinnen, und auch als Schriftstellerin ist sie eine feste Größe: Ihr Werk umfasst Romane, Kurzgeschichten, Essays und autobiografische Texte. Sie handeln von dem Leben im Spagat: zwischen Heimat und Fernweh, Anpassung und Eigensinn, Alltag und Ausnahmezustand.

Und das erzählt sie humorvoll, klug, mit Gespür für das Skurrile und das Existentielle.

Vom sicheren Nest ins Ungewisse

Geboren 1955 in Hannover, wächst Doris Dörrie in einem bürgerlichen Elternhaus als eine von vier Schwestern auf. Der Vater ist Kinderarzt, die Mutter hält Haushalt und Familie zusammen.

Ein Zuhause, das für Dörrie später zum Inbegriff von Sicherheit wird – und damit zur Voraussetzung für das „Losfliegen“. Das Gefühl, wieder zurückkehren zu können, erlaubt es Dörrie, sich in der Welt zu Hause zu fühlen. Über das Zuhause, das Wohnen und das Leben – das für sie untrennbar miteinander zusammenhängt – schrieb Dörrie in ihrem jüngst erschienenen Essay „Wohnen“.

Früh zieht es sie in die Ferne: Sie studiert Schauspiel und Film in Kalifornien. Der Liebe wegen zieht sie nach New York. Heute lebt sie in München. Dazwischen: ein bewegtes Leben in Städten, auf dem Land, in Japan, Marokko. Die Konstante: Das Schreiben, das Sehen, das Beobachten.

Schreiben als Überlebensstrategie

Das Schreiben will sie auch ihrem Publikum nahe bringen. Ihr Buch „Leben, schreiben, atmen“ (2019) widmete sie dem Autobiografischen, sie vermittelt darin Schreibtechniken, Impulse und praktische Übungen. Viele Wochen stand es auf den Bestsellerlisten.

Und wer schreibt, bekommt eine Ahnung von sich selbst.

In Workshops auf der ganzen Welt gibt Dörrie Schreibkurse und inspiriert ihr Publikum zu einem von Neugier, Offenheit und Lebensfreude geprägten Erzählen. „Ich schreibe, um das Leben zu feiern“, sagt sie. Und wer sie liest, spürt: Diese Frau schreibt nicht, um zu glänzen, sondern um zu begreifen.

Feminismus mit Augenzwinkern

Und das mit Erfolg: Als Autorin und Filmemacherin wurde sie bereits mit über 30 Ehrungen und Preisen ausgezeichnet wurde. Die Filmkomödie „Männer“ (1985) war Dörries Durchbruch als Regisseurin und Drehbuchautorin und machte sie international bekannt. Als bester ausländischer Beitrag war der Film für den Oscar nominiert.

Es folgten zahlreiche weitere Spielfilme, „Erleuchtung garantiert“ (1999) oder „Kirschblüten – Hanami“ (2008), in dem sie den frühen Tod ihres ersten Ehemanns verarbeitete. Mit „Freibad“ (2022) feierte sie zuletzt erneut einen kritischen Erfolg.

Heiner Lauterbach, Ulrike Kriener, Uwe Ochsenknecht und Doris Dörrie beim Filmball in München, 1986
V.l.n.r.: Heiner Lauterbach, Ulrike Kriener, Uwe Ochsenknecht und Doris Dörrie beim Filmball in München, 1986

Schon in ihrem Debütfilm „Mitten ins Herz“ (1983) bewies Dörrie, dass sie das Geschlechterverhältnis mit scharfem Blick und Humor sezieren kann. Im Film „Bin ich schön?“ (1998) oder dem Roman „Die Heldin reist“ (2022), ging es ihr zunehmend darum, Frauenfiguren jenseits von Klischees Raum zu geben. Immer wieder hinterfragt sie weibliche Rollenbilder – mal erzählerisch, mal essayistisch, oft mit leiser Ironie.

Gerade in ihrem literarischen Werk zeigt sich diese Haltung deutlich. Ihre Texte sind durchdrungen von einem feministischen Bewusstsein, das nie dogmatisch wirkt.

Ihre kluge, selbstreflexive Ironie zieht sich durch ihr Schreiben. Sie findet sich auch in ihrem Essay „Wohnen“, der sich nicht nur Räumen widmet, sondern auch eine tiefgründige Erkundung weiblicher Prägung, sozialer Zwänge und biografischer Brüche darstellt. Die Küche wird darin zum Symbol: Jahrhundertelang als „Frauenraum“ besetzt – und zugleich der Ort, an dem Dörrie selbst am liebsten schreibt.

Eine, die nie stehen bleibt

Auch mit 70 Jahren ist Doris Dörrie keine, die sich auf Erfolgen ausruht. Sie unterrichtet an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, sie schreibt, sie reist. Ihre Neugier ist geblieben – und ihr Humor auch.

Vielleicht ist das ihr größtes Talent: sich selbst nie zu ernst zu nehmen – und gerade deshalb so ernst genommen zu werden. Doris Dörrie ist keine große Theoretikerin, keine laute Aktivistin.

Sie ist eine ruhige Chronistin, die das Leben in all seinen Widersprüchen einfängt – schreibend, filmend, beobachtend. Eine, die nicht aufhört, Fragen zu stellen. Eine, die erzählt, damit wir besser sehen können.

„Ich schreibe am liebsten in der Küche oder im Bett“ Doris Dörrie über ihr neues Buch „Wohnen“

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