Tilmann Lahmes „Thomas Mann. Ein Leben"

Galten Thomas Manns heimliche Träume und Phantasien Männern?

Stand

Von Autor/in Eberhard Falcke

Noch eine Biografie über Thomas Mann! Und wie jede Biografie muss auch diese einen Schritt weiter gehen als die vorherigen. Für Tilmann Lahmes „Thomas Mann. Ein Leben" bedeutet dieser Schritt: Thomas Mann war Ehemann und Vater, aber sein erotisches Begehren gehörte jungen Männern und niemandem sonst.

Thomas Manns Homoerotik war für die eingeweihte Leserschaft lange ein prickelndes Thema, wurde aber meist mit einer gewissen Diskretion behandelt. Damit will Tilmann Lahme in seiner Biografie „Thomas Mann. Ein Leben" nun endgültig aufräumen.  

Ein aufschlussreicher Briefwechsel 

Als Schlüsseldokumente zu diesem Zweck dienen ihm zwei lange verschollene Briefe an den Lübecker Jugendfreund Otto Grautoff. Daraus geht hervor, dass schon der 21-jährige Thomas Mann seine geschlechtliche Orientierung als, wie er sagte, „wacklig" empfand, und sich in der neuesten wissenschaftlichen Literatur darüber informierte.

Vor allem aber ließ er durchblicken, dass er seine Neigung akzeptieren wollte und erklärte:  

Ich bin immerhin noch im Stande, meine »Anomalien« mit literarischen Augen anzusehen, Philosophie hineinzubringen und mit einer in guten Stunden heiteren Objektivität mein Sein und Wesen zu betrachten.

Tilmann Lahme
Literaturhistoriker Tilmann Lahme

Homoerotische Maskenspiele im Werk 

Thomas Mann verbrachte sein Leben als Ehemann und Oberhaupt einer kinderreichen Familie, doch seine heimlichen Träume und Phantasien galten Männern. Das ist bekannt und er hat es selbst vielfach fiktional verkleidet in seinem Werk thematisiert. Der Biograf Lahme verfolgt nicht als Erster diese Spuren in ausführlichen Werkinterpretationen. Er schreibt: 

Mit Tonio Krögers Liebe zu Hans Hansen schafft Thomas Mann die erste offen homoerotisch fühlende Figur in seinem Werk. Thomas Mann macht keinen Hehl daraus, dass diese Jugendliebe seine eigene ist.

Lahme will seinen Thomas Mann, ungeachtet der dafür fehlenden Lebenspraxis, als waschechten Homosexuellen darstellen. Für diese Beweisführung verwendet er viel Raum und beschreitet manchen Nebenweg, wenn er etwa an eine Erzählung der jungen Susan Sontag über einen Besuch beim Verfasser des „Zauberberg" weit hergeholte Spekulationen anschließt.

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Um das Lebensdrama von Thomas Manns Sexualität restlos offen zu legen, so die vornehme Begründung, druckt Lahme auf zwei Seiten jene Tagebucheinträge ab, die bislang rücksichtsvoll ausgelassen wurden. Sie protokollieren Selbstbefriedigung, unwillkürliche Samenergüsse, ehelichen Beischlaf, aber auch allerlei Unterleibsbeschwerden.  

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Bekanntes Porträt mit stärker betonten Zügen 

Trotzdem finden auch jene, die Thomas Mann nicht primär sexualwissenschaftlich betrachten wollen, in Lahmes Beschreibung der Werke und Lebensstationen viel Bemerkenswertes. Zu den nach wie vor interessantesten Aspekten gehört es, wie der vom deutschnationalen Konservativen zum Demokraten geläuterte Schriftsteller in seinem Faustus-Roman den deutschen Sonderweg in die Barbarei darstellte.

Und wie sehr er bald darauf auch die USA im beginnenden Kalten Krieg auf einem gefährlichen Weg nach rechts sah. Was das persönliche Schicksal des berühmtesten Schriftstellers seines Jahrhunderts angeht, zieht der Biograf folgendes Fazit: 

Sein Leben, seine Literatur und seine Tagebücher erzählen die fesselnd-traurige Geschichte eines Mannes, der nicht lieben darf.

Tilmann Lahme zeichnet das Porträt Thomas Manns nicht neu, aber er arbeitet manche Züge markanter und mit einigem Enthüllungseifer heraus. Seine Biografie liefert zum 150. Geburtstag eine profunde Lektüre, in der auch einiger Stoff für Kontroversen steckt.  

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Eberhard Falcke