Ida Herz über Thomas Mann: „Er war mein bester Freund“. Allerdings war es eine ungleiche Freundschaft, die sie mit Thomas Mann verband. Geprägt von euphorischer Hingabe und bitterer Enttäuschung. Nachzulesen im hervorragend editierten und kommentierten Briefwechsel von Ida Herz mit Thomas und Katia Mann.
Als Ida Herz am 22. April 1935 nach einem Besuch bei Thomas Mann dankbar an ihn schreibt, dass ihre Freundschaft zu ihm das „Wunder ihres Lebens“ sei, weiß sie noch nicht, was der so verehrte Dichter drei Tage zuvor über den gemeinsamen Spaziergang in sein Tagebuch notiert hatte.
Die Herz hatte ich bis vor Itschnach auf der Pelle. Unglückselige und beschämende Aufdringlichkeiten der hysterischen alten Jungfer.
Ida Herz erfährt von diesen Zeilen erst nach deren Veröffentlichung vierzig Jahre später. Sie versetzen ihr den „Schock ihres Lebens“.
Seit sie Thomas Mann 1924 in der Straßenbahn zwischen Fürth und Nürnberg angesprochen hatte, war sie ihm über Jahrzehnte treu ergeben gewesen, hatte seine private Bibliothek geordnet und große Teile 1933 vor den Nationalsozialisten gerettet, ein umfangreiches Archiv über ihn angelegt, ihn oft besucht und bis zu seinem Tod 1955 Briefe mit ihm gewechselt.
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Ein Leben ausgerichtet auf das große Idol Thomas Mann und von ihm bitter enttäuscht
Thomas Mann schreibt ihr so häufig wie kaum jemandem sonst. Und dann muss sie diesen Tagebucheintrag über sich entdecken und immer wieder auch den Satz: „Zu Tische leider die Herz“. Ihr gesamter Lebensentwurf stürzt in sich zusammen. Sie hatte ihn ganz und gar auf den Autor und sein Werk ausgerichtet.
Auch als Leser des von Holger Pils’ sorgfältig editierten Briefwechsels, ergänzt um viele aufschlussreiche Kommentare und ein ausführliches Nachwort, fühlt man regelrecht mit, wie Ida Herz für Thomas Mann lebte und litt. Alle 335 von ihm an sie geschriebenen, erhaltenen und nun erstmals vollständig veröffentlichten Briefe zeugen davon. Und auch die Tatsache, dass von ihr nur 27 Korrespondenzen erhalten sind.
Erschütternde Zeitgeschichte und persönliche Zeugnisse
Darunter solche, die vor allem erschütternde Zeitgeschichte enthalten, wie der Brief vom 13. Mai 1945, in dem sie kurz nach Kriegsende von einer Familie berichtet, die dem KZ Bergen Belsen entkommen konnte.
Kein Wort von den Schrecken des Lagers, nur Worte des Glückes + der Dankbarkeit für die Freiheit, die Freiheit in tiefster, unvorstellbarer Armut + alle Drei so schwach + widerstandsunfähig, vom lang erduldeten Hunger, daß sie noch nichts andres essen können, als im Wasser + ohne Fett gekochtes Gemüse + Kartoffeln.
In den 31 aufwühlenden Jahren vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg, in denen die Briefe zwischen Deutschland, der Schweiz, England und den USA hin und her gehen, tauschen sich Ida Herz und Thomas Mann beständig aus über dessen Werk und Wirken, seine vielen Reisen, das Archiv.
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Ida Herz erfährt aber auch – besonders aus der ergänzenden Post Katia Manns - von den Familienzusammenkünften, und berichtet ihrerseits Leben im Exil. Die Jüdin konnte 1936 nach England ausreisen. Als sie allerdings zwei Jahre später in die USA übersiedeln möchte und sich an Präsident Roosevelt wendet unter Berufung auf Thomas Mann, äußert der sich so erbost wie arrogant über ihren Vorstoß im Brief vom 26. Januar 1938:
Sie haben mit dieser Thorheit nicht nur ein Zeugnis von Unbescheidenheit und Maßstablosigkeit abgelegt, sondern durch die unvermeidliche Berufung auf mich auch mich mit kompromittiert. Sie müssen doch verstehen, dass es nicht angeht mit Ihrem kleinen persönlichen Schicksal einen Mann wie Roosevelt zu behelligen.
Freundschaftsangebot von Thomas Manns an Ida Herz nach 30 Jahren
Der Tenor – aus Briefen wie diesem und den Tagebucheinträgen ist eindeutig: Thomas Mann blickt auf Ida Herz herab. Ist oft überheblich und immer distanziert. Aber er ist auch dankbar für ihre Archivarbeit, bewundert ihre Courage in der Nazizeit und achtet ihr Durchhaltevermögen. Anläßlich ihres 60. Geburtstages schreibt Thomas Mann am 15. Oktober 1954:
...wie Sie sich geführt haben nach der Vertreibung aus Deutschland, sich gehalten und gearbeitet und das Leben bestanden haben, das ist so brav und ehrenhaft, daß es wirklich jeder Achtung und Sympathie und Freundschaft wert ist.
Freundschaft. Nun benutzt sogar er dieses Wort. Ein Jahr später stirbt Thomas Mann. Ida Herz bleiben da noch drei Jahrzehnte. Und viele Jahre davon in weiterer Verehrung, bis sie 1978 ihr Idol vom Sockel stoßen muss. Ida Herz: Was für ein Leben und Leiden! Und was für ein großartiges Buch, dass mit dem hochspannenden Briefwechsel und fachkundigen Erläuterungen Aufschluss darüber gibt.
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