Hart an der Grenze zur Adelsschmonzette

Vom Zerfall einer sizilianischen Adelsfamilie: „Der Leopard“ als Netflix-Literaturverfilmung

Stand

Von Autor/in Karsten Umlauf

Luchino Viscontis Verfilmung von Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“ gilt bis heute als Klassiker des italienischen Kinos. Netflix hat jetzt das Schicksal der sizilianischen Fürsten von Salina als Serie neu verfilmt. Sie liefert zumindet einen frischen Blick auf den Roman und auf die darunter liegende ziemlich universelle Geschichte von Tradition und Wandel.

In Palermo herrschen Unruhen. Im Jahr 1860 ist die Fahrt mit der Kutsche schon ein Sicherheitsrisiko, denn die Soldaten der aristokratischen Herrscher in Sizilien liefern sich Straßenschlachten mit Aufständischen und Freischärlern.

Einen kann das nicht wirklich ängstigen: Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, nach seinem Wappentier bekannt als „der Leopard“. Die Kämpfe um das, was später mal „Vereinigtes Italien“ heißen wird, verfolgt er jedenfalls recht distanziert, meist mit einem Zigarillo oder einem Stück Mandelgebäck in der Hand.

Filmstill
Don Fabrizio Corbera (Kim Rossi Stuart), Fürst von Salina, lebt ein Leben geprägt von Schönheit und Privilegien. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Doch mit der bevorstehenden Gründung des italienischen Staates gerät die alte aristokratische Ordnung ins Wanken, und auch die Zukunft seiner Familie steht auf dem Spiel. Bild in Detailansicht öffnen
Saul Nanni as Tancredi, Deva Cassel as Angelica
Die Verbindung seines Neffen Tancredi (Saul Nanni) mit der wohlhabenden Bürgerlichen Angelica (Deva Cassel) könnte die finanzielle Sicherheit der Familie gewährleisten. Don Fabrizio willigt in die Verlobung ein, da er weiß, dass dieser als verarmter Adeliger ohne das Geld seines Schwiegervaters nie seine hohen Lebensziele erreichen könnte. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Doch diese Heirat birgt einen hohen Preis: Sie wird das Herz seiner Tochter Concetta (Benedetta Porcaroli) brechen. Ihr Leben lang trauert sie dem an Angelica verlorenen Tancredi nach. Bild in Detailansicht öffnen
Filmstill
Fabrizios von ihm entfremdete, streng katholische Ehefrau Maria Stella (Astrid Meloni) ist über die Verlobung ihres Neffen mit der von Bauern abstammenden Angelica entsetzt. Bild in Detailansicht öffnen

Aktueller Generationenkonflikt schon im 19. Jahrhundert

Fabrizio gegenüber steht sein geliebter Neffe Tancredi, der mit glühender Überzeugung für die antifeudale Bewegung Garibaldis in den Kampf zieht. Klingt fast nach einem aktuellen Generationenkonflikt. Aber Tancredi stößt auch die ihn liebende Concetta, Fabrizios Tochter, vor den Kopf.

Ihre Liebe kommt übers Briefeschreiben, Schmachten und Sehnen nicht hinaus, auch weil sich Tancredi in die aufreizende und ehrgeizige Angelica verguckt. Dieses Dreieck ist das emotionale Zentrum der Serie. Und damit auch einer der wenigen echten Kontraste zu der Verfilmung von Luchino Visconti.

Viscontis Meisterwerk schwebt über der Netflix-Serie

Viscontis Verfilmung von 1963 gilt als Meisterwerk. Sie schwelgt in opulenten Bildern und Panoramen vom Niedergang aristokratischer Kultur und Sitten. Dem zollt die ebenfalls vorzüglich gefilmte und opulent ausgestattete Serie von Regisseur Tom Shankland Respekt.

Und sie versucht, ein bisschen von dieser untergründigen Melancholie und flirrenden Sinnlichkeit mitzunehmen. Das gelingt ihr nicht immer: Der Grat zur oberflächlichen Adelsromanze wird doch öfter mal überschritten.

Aber man muss den Mut loben, der souveränen Statik von Viscontis Bildern, die heute mitunter langatmig wirken, einen spürbar moderneren Blick auf die Geschichte entgegenzusetzen. Mehr Tempo und mehr Schärfe in den Figuren. Vor allem bekommen die Frauenrollen deutlich mehr Profil. 

Filmstill
Angesichts der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche sieht sich Don Fabrizio (Mik Rossi Stuart) gezwungen, Bündnisse einzugehen, die seine Prinzipien herausfordern.

Der Fürst ist das Epizentrum der Serie

Und dann ist da ja immer noch der Leopard, der Fürst als das Epizentrum der Serie: eine schillernde Figur, tief verwurzelt in sizilianischer Erde. Kim Rossi Stuart spielt ihn als kultiviertes Rauhbein, einer der die schönen Dinge liebt und die Macht verkörpert. Der mit der Zeit geht und doch erkennen muss, dass er sie nur noch zum Teil gestalten kann.

Auch das schafft die Serie zwar nicht ganz überzeugend auszuformulieren, aber sie ermöglicht einen frischen Blick auf den Roman, auf die darunter liegende ziemlich universelle Geschichte von Tradition und Werten und ihrem schmerzlichen oder auch notwendigen Wandel.

Trailer „Der Leopard“, ab 5.3. auf Netflix

Waisenmädchen erfinden die Popmusik „Gloria“ von Margherita Vicario: Die befreiende Kraft der Musik

In ihrem Regiedebüt „Gloria!“ erzählt Regisseurin Margherita Vicario von einer Gruppe junger Musikerinnen im 18. Jahrhundert, deren Talent lange unentdeckt bleibt.

SWR Kultur am Mittag SWR Kultur

Buchtipp zur Frankfurter Buchmesse 2024: Gastland Italien Ein zeitloses Meisterwerk der italienischen Literatur – Maria Messinas Roman „Das Haus in der Gasse“

Maria Messina hat mit „Das Haus in der Gasse“ einen sprachlich so makellosen Roman geschrieben, dass man mit jeder Zeile das Gefühl hat, Weltliteratur zu lesen.

Kochbuch-Kolumne Sizilianischer Reiseführer für die Küche: „Sizilien in meiner Küche“ von Cettina Vicenzino

Clemens Hoffmann ist begeisterter Hobby-Koch und Gastgeber. Seine Kochbuch-Sammlung füllt mehrere Regalmeter, und ständig kommen neue dazu.

SWR Kultur am Abend SWR Kultur