Eigenwilliger und hervorragend besetzter Film

Kinofilm „Chaos und Stille“ von Anatol Schuster: Modernes Märchen

Stand

Von Autor/in Rüdiger Suchsland

Unerwartet kündigt Klara ihren Job und zieht sich auf das Dach ihres Hauses zurück. Dieser radikale Schritt setzt beim Komponisten Jean einen kreativen Schub frei. Während die Debatten über den Sinn des Lebens an Intensität gewinnen und die ganze Stadt ergreifen, zieht sich Klara zunehmend in sich selbst zurück.

Modernes Märchen

Klara verhält sich zunehmend merkwürdig: Die erfolgreiche Frau steigt einfach aus ihrem Leben aus und lebt wie der Kinderheld Karlsson vom Dach über ihren bisherigen Apartment. Sie verschenkt quasi all ihre Besitztümer und scheint sich selbst am Regen draußen nicht zu stören. Die Frau geht in die Rebellion und ist dabei absolut friedlich, aber die Gesellschaft erträgt das nicht. Klara wirkt sehr provokativ, indem sie die kapitalistischen Verhältnisse und das normale Leben einfach ablehnt.

„Chaos und Stille“
Klara (Sabine Timoteo) steigt einfach aus ihrem Leben aus, wohnt auf dem Dach über ihren bisherigen Apartment und verschenkt all ihren Besitz.

Jean, ein junger Komponist von moderner Klassik, der mit seiner Frau Helene und dem neugeborenen Kind im gleichen Haus lebt und Klara bisher als Nachbarin kannte, ist von der Frau und ihrer Entscheidung fasziniert.

Seine Ehefrau, die stärker zwischen der Sehnsucht nach Sicherheit und der Angst vor einem spießigen Leben schwankt, ist von dieser Faszination aber zunehmend beunruhigt. Erst recht, als auch noch das Schicksal der Dachbewohnerin bekannt wird und sich ein seltsamer Personenkult um sie entwickelt.

Zwischen Sinn des Lebens und kapitalistischem Hamsterrad

Mit „Chaos und Stille“ ist dem Regisseur Anatol Schuster ein spannender, facettenreicher und künstlerisch faszinierender Film geglückt. Wo er von Klara erzählt, fragt er nach dem Sinn unseres Lebens im kapitalistischen Hamsterrad. Wo er vom Komponisten Jean erzählt, fragt er nach jungen Menschen, die am Anfang ihres Lebens stehen, gerade eine Familie gegründet haben.

Er fragt danach, wie weit wie Kunst und Leben zusammen gehen, wann ein Kompromiss nötig ist und wann man bei seinen Überzeugungen, seinem Idealismus bleiben sollte, auch gegen äußere Anpassungszwänge.

„Chaos und Stille“
Sobald die Geschichte von Klara (Sabine Timoteo) auf dem Dach bekannt wird, entwickelt sich ein seltsamer Personenkult um sie. Die Medien berichten, es gibt sektiererische fanatische Anhänger und fanatische Gegner.

Anatol Schuster geht es auch um unsere Gesellschaft: Die Medien, die sozialen Netzwerke und den Populismus, die Gefühle, die die Gesellschaft spalten und sie die Vernunft vergessen lassen.

In der Machart ist „Chaos und Stille“ ein eigenwilliger, hervorragend besetzter Film: Sabine Timoteo als Klara auf dem Dach, Anton von Lucke als Komponist und und Michael Wittenborn in einem brillanten Auftritt als Arzt sorgen für besondere Darstellerqualität.

Widerstand der Menschen gegen die Übermacht des Alltags

Humorvoll und mit scharfem Blick für soziale Dynamiken erzählt Regisseur Schuster von einer Gesellschaft, der der Glaube an eine große Alternative längst abhanden gekommen ist. Ohne festes Drehbuch vor allem im hessischen Darmstadt mit relativ wenig Geld gedreht, ist dies eine interessante Regie und Produktionsleistung, die zeigt was möglich ist im deutschen Kino.

Dieser Film, der vom Widerstand der Menschen gegen die Übermacht des Alltags handelt, ist selbst ein Akt des Widerstandes der Kunst gegen die Zwänge aus Konsumismus, Ökonomie und Quote.

 Trailer „Chaos und Stille“, ab 5.6. im Kino

Kinotrailer "Chaos und Stille" - Kinostart 5. Juni 2025

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