„Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“

Ira Peter über Russlanddeutsche: Zwischen Trauma und Stigma

Stand

Von Autor/in Manuel Gerber

Putin-Freunde und AfD-Wähler? In ihrem Buch „Deutsch genug?“ räumt die Journalistin Ira Peter mit Klischees über Russlanddeutsche auf. Sie zeigt: Aufrichtiges Interesse würde allen helfen.

Sie sprechen angeblich nur Russisch, verehren Putin und wählen die AfD. An Vorurteilen über Russlanddeutsche mangelt es nicht. Dagegen mangelt es an aufrichtigem Interesse an ihnen, sagt die Autorin, Journalistin und Bloggerin Ira Peter. Und das, obwohl insgesamt rund 2,5 Millionen russlanddeutsche Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland eingewandert sind.

Viele von ihnen leben in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Die Mannheimerin Ira Peter kam selbst als Neunjährige aus Kasachstan nach Deutschland und ist eine wichtige Stimme der vielfältigen Gruppe der Russlanddeutschen.

Deportation, Ermordung, Haft, Arbeitslager

Seit ihrer Kindheit fragt sie sich: Bin ich deutsch genug? Dass Russlanddeutsche in der deutschen Öffentlichkeit oft als eine homogene Gruppe besprochen wurden, störte sie. Denn meist seien sie als „Problemgruppe“ dargestellt worden. „Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, einer Problemgruppe zugeordnet zu werden“, sagt Ira Peter.

Das motivierte sie, ein Buch darüber zu schreiben. In „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“ erzählt sie von den traumatischen Erfahrungen, die Spätaussiedler in der Sowjetunion während der Herrschaft Stalins machen mussten.

Schwerer Start in Deutschland

Die Geschichte der Russlanddeutschen beginnt als Siedler im russischen Zarenreich. Sie leben dort über Generationen hinweg als Deutsche, pflegen ihre Sprache und Religion, sind meist wohlhabender als die übrige russische Bevölkerung. 

Während Stalins Terrorherrschaft gelten sie als mögliche Nazi-Kollaborateure. Sie müssen ihre Dörfer verlassen. Viele von ihnen sterben bereits während der Deportation. Wer überlebt, dem drohen Gulag und Arbeitslager. 

Später erkennt die Bundesrepublik das Leid der Russlanddeutschen als Folge des Zweiten Weltkriegs an. Als Wiedergutmachung dürfen sie nach Deutschland übersiedeln. Das ist für die meisten erst nach dem Zerfall der Sowjetunion möglich. Manche sprechen nur Deutsch, manche nur Russisch. Was alle eint, sind die Erfahrungen.

Mit diesen Erfahrungen und Traumata begannen Russlanddeutsche in der Bundesrepublik ein neues Leben, das sich stark von ihrem vorigen Leben unterschied. So erging es auch Ira Peters Familie: Sie wurde von der heutigen Ukraine nach Nordkasachstan verschleppt.

Wie wählen Russlandeutsche?

Ira Peter sucht in ihrem Buch nach den Ursachen, die damals und heute das Zusammenleben erschweren.

Ich hoffe, dass das Buch dazu führt, dass sich viele Russlanddeutsche Familien über ihre eigene Geschichte bewusst werden. Und dass es vielleicht einen Anlass bietet, über bestimmte Familienkapitel zu sprechen, die bislang verschwiegen worden sind.

Auch das Wahlverhalten der Russlanddeutschen ist ein Thema in Ira Peters Buch. In manchen Hochburgen wählen Russlanddeutsche zwar überproportional den rechten oder linken Rand – im Durchschnitt unterscheidet sich das Wahlverhalten jedoch kaum von dem der Mehrheitsgesellschaft.

Ein Grund für die Stigmatisierung sei: Schlecht integrierte Russlanddeutsche fielen auf – gut integrierte würden dagegen kaum mehr als solche wahrgenommen.

Aufrichtiges Interesse und Engagement

Der Blick auf „die Russlanddeutschen“ – er verändert sich, nachdem man dieses Buch gelesen hat. Aus einer vermeintlichen Gruppe werden Menschen, die manches verbindet, aber auch vieles unterscheidet. 

Von der Mehrheitsgesellschaft fordert Ira Peter aufrichtiges Interesse an den Russlanddeutschen. Und von den Russlanddeutschen fordert sie, sich mehr zu engagieren. So könnte unsere Gesellschaft zusammenwachsen, statt immer weiter auseinanderzudriften. 

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Manuel Gerber
Onlinefassung
David Kirchgeßner