Eine kleine Stadt in der Nordpfalz, knapp 5.400 Einwohner, ein ehemaliges Kino – und mittendrin eine Bühne mit einer Indie-Band aus New York, tanzenden und feiernden Menschen zwischen 18 bis 68 Jahren. Willkommen im Kinett in Kusel.
„Unser kleiner Club am Ende der Welt“, so nennt Andreas Becker, künstlerischer Leiter des Kinett, liebevoll sein Projekt. Was für andere absurd klingt, ist für ihn eine Mission. Auch aus persönlichem Antrieb: „Ich glaube nicht, dass ich die letzten Jahrzehnte so überlebt hätte, ohne die Musik.“
Warum Clubkultur mehr ist als Partykultur
Denn Musikclubs im ländlichen Raum sind mehr als nur Orte für laute Musik oder wilde Partys am Wochenende. Sie sind „Schutzräume, soziale Knotenpunkte und kulturelle Leuchttürme“, wie es auch in der Abschlusspublikation des Popdialog 2024 heißt.
Ein Jahr lang haben beim „Dialog Populäre Kultur“, kurz Popdialog, Politik, Instutitionen und Akteure aus der Kulturbranche mit der Lage der Popkultur in Baden-Württemberg befasst. Die ist nicht aussichstlos, aber auch nach Corona weiterhin angespannt – gerade außerhalb der großen Städte.
Als Teil der auch in eher ländlichen Regionen wirtschaftlich relevanten Kultur- und Kreativwirtschaft spielt die Musik jedoch eine besondere Rolle: „Eine vitale Club- und Festivalkultur ist auch ein harter Standortvorteil, sie macht Städte und Gemeinden attraktiv – das ist wichtig, auch mit Blick auf zukünftige Innenstadtentwicklungen“, schreibt der für den Popdialog zuständige Staatssekretär Arne Braun.
Gerade in Zeiten, in denen viele Begegnungen ins Digitale abwandern und der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt, stiftet das Zusammenkommen mit musikalisch Gleichgesinnten zudem reale Gemeinschaft. Dafür brauche es dezentrale Orte, wo junge Menschen kreative Prozesse durchleben und Teilhabe erfahren können – auch abseits urbaner Hotspots.
Das Kinett Kusel: Ein Leuchtturmprojekt
Seit 2022 betreibt Andreas Becker das Kinett in Kusel – ein Club, der mittlerweile ein Standing in der Livemusik-Szene hat und sogar internationalen Bands eine Bühne bietet. 80 Konzerte jährlich, organisiert mit Herzblut, ohne kommerziellen Hintergrund. Das wurde vor kurzem auch belohnt: mit dem Bundespreises APPLAUS für das Live-Programm.
Was das Kinett besonders macht: Es ist nicht nur Konzertort, sondern auch Diskursraum. Verschiedene Subkulturen finden hier musikalische Heimat. Und so eröffnen sich den Besucherinnen und Besuchern von Elektro Punk über Hip Hop Beats und Indie auch musikalisch ganz neue Welten. Denn Andreas Becker will keine Coverbands präsentieren, sondern Musik abseits des Mainstream. Er will seinem Publikum die Ohren öffnen für neue Klänge.

Herausforderungen: Mobilität, Förderung, Anerkennung
Doch Clubkultur auf dem Land hat es schwer. Die Leute für Livekonzerte zu begeistern in einer Kleinstadt, aus der junge Leute nach der Schule oft wegziehen – das ist ein harter Kampf.
Die Probleme beginnen schon bei Dingen wie dem Nahverkehr: ÖPNV-Erreichbarkeit in den Abendstunden ist oft ein Witz. Wer keinen Führerschein hat, kommt häufig gar nicht erst zum Konzert – oder nicht zurück.

Und nur von den Eintrittsgeldern könnte auch das Kinett nicht überleben, ist für die Gagen der Bands auf Zuschüsse aus Förderungen angewiesen. Das Preisgeld für den APPLAUS-Award kam da gerade recht: „Das bedeutet auf jeden Fall mal, dass wir es zwei Jahre weitermachen können“, sagt Becker nach dem Gewinn der mit 45.000 Euro dotierten Auszeichnung.
Steigende Kosten und Unsicherheit
Hinzu kommen steigende Gagen, unsichere Fördermittel und der stete Kampf gegen Bürokratie. Katja Lucker von der Initiative Musik, die den APPLAUS-Award organisiert, sagt zudem: „In Metropolregionen sind Kulturakteur*innen häufig gut vernetzt – im ländlichen Raum ist das oft deutlich schwieriger.“
Trotzdem gibt es Netzwerke und Unterstützung – zum Beispiel durch Initativen wie pop.bw und pop rlp. Sie fördern Musikeriniativen, Bands und Nachwuchskünstlerinnen und -künstler mit Workshops, Auftrittsvermittlung und logistischer Unterstützung bei Konzerten.
Spannende Konzertlocations im Südwesten
Und im ganzen Südwesten gibt es neben regionalen und lokalen Festivals zahlreiche Leuchttürme an Musikclubs und -initiativen, die sich teils seit Jahrzehnten halten. Eine kleine, beispielhafte Auswahl:
- Der Club Alpha 60 in Schwäbisch Hall: Seit 1973 eine Bühne für alternative Musik, Lesungen, Theater. Als Verein organisiert und autonom.
- Der JuZ Live Club in Andernach: Mittlerweile ein zentraler Ort für Punk, Hardcore und Metal in der Region und Treffpunkt einer aktiven Szene.
- Der Kulturladen Konstanz: Indie, Jazz, Global Pop – ein Leuchtturm für Vielfalt am Bodensee, fernab von den großen Pop-Metropolen.
- Das franz.K im ehemaligen französischen Kino in Reutlingen: Über 350 Veranstaltungen jährlich, von Theater über Clubnächte bis hin zu politischer Bildung und inklusiven Festivals.
Identität, kulturelle Teilhabe und Energie
Club- und Livemusikkultur außerhalb der Metropolen ist keine nette Zugabe – sie ist zentrale kulturelle Infrastruktur. Sie ist Motor für Identität, Kreativität und Demokratie – gerade dort, wo sich vielleicht Menschen abgehängt fühlen. Das zeigen auch die Ergebnisse des dialogFORM, eines partizipativen Dialogprozesses der Initative Musik zu Popkultur im ländlichen Raum in der Lausitz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
„Gerade in ländlichen Räumen brauchen wir Orte, an denen gesellschaftliche Fragen offen verhandelt werden können. Festivals können solche Diskursräume schaffen – doch dafür brauchen wir mehr politische Aufmerksamkeit und langfristige Unterstützung“, sagt Anett Krause vom Netzwerkbüro Musikland Sachsen-Anhalt.

Ob in der Lausitz, Kusel oder Schwäbisch Hall – worum es neben kultureller Teilhabe und Co. natürlich auch geht: „Wenn man aus dem Konzert rausgeht und die Energie von der Musik aufgenommen hat – das ist es, warum man das macht“, bringt es Kinett-Macher Andreas Becker auf den Punkt.