In Frankreich galten sie als Kollaborateure

Beschimpft und vergessen: Elsässer, die für Nazi-Deutschland kämpfen mussten

Stand

Von Autor/in Noémie Gaschy (France 3), Viola Maury (SWR), Paula Zeiler

Die Nationalsozialisten zwangen Zehntausende Franzosen für Deutschland im Zweiten Weltkrieg zu kämpfen. In Frankreich wurden sie trotzdem lange als Verräter beschimpft.

In Frankreich beschimpfte man sie Jahrzehnte lang als Kollaborateure: die Malgré-nous. Als junge Männer und Frauen waren sie von den Nationalsozialisten unter Zwang eingezogen worden. Gegen ihren Willen mussten sie für die Waffen-SS oder Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg kämpfen. Wer sich weigerte, dem drohte der Tod - gleichermaßen seiner Familie. Trotzdem galten die Malgré-nous lange als Verräter. Im Verlauf der Jahre geriet ihre Geschichte in Vergessenheit. Jetzt wurden sie nach langem Schweigen im Straßburger Münster geehrt.

Im Straßburger Münster wurde die Malgré-Nous erstmals geehrt

Heute sind die Männer und Frauen fast einhundert Jahre alt. Für eine feierliche Ehrung kamen 18 von ihnen im Straßburger Münster zusammen. Einige von ihnen brauchten einen Rollstuhl - andere Hilfe, um zu laufen und hierher zu kommen. Die Nationalsozialisten hatten vor rund 80 Jahren um die 130.000 Männer und Frauen aus den besetzten Gebieten im Elsass und dem Moselgebiet zwangsrekrutiert. Gegen ihren Willen, wie man heute weiß.

"Ich habe junge Elsässer getroffen, die nicht wussten, was die Malgré-nous sind", sagte der Initiator der Ehrung, Jean-Louis Spieser. Er ist pensionierter Lehrer und wollte einfach "die letzten Malgré-nous nicht in der allgemeinen Gleichgültigkeit gehen lassen".

Ein alter Mann kämpft mit den Tränen bei der Ehrung der Malgré-nous im Straßburger Münster.
Lange galten sie in Frankreich als Verräter: die Malgré-nous. Junge Französinnen und Franzosen, die im Zweiten Weltkrieg von den Nazis unter Zwang eingezogen wurden. Wer sich weigerte, dem drohte der Tod - gleichermaßen seiner Familie.

Die zwangsrekrutierten Elsässer fehlen in den Geschichtsbüchern

Der Gottesdienst im Straßburger Münster war der erste seiner Art in Frankreich. Über Jahrzehnte wurde den Zwangrekrutierten Malgré-nous nicht öffentlich gedacht. Nicolas Sarkozy war 2010 der erste Präsident der Französischen Republik der sich öffentlich zu den Malgré-nous bekannte. Während der Gedenkfeier zum Kriegsende 1945 in Colmar (Elsass) sagte er, dass die Malgré-nous keine Verräter waren und, dass die drohenden Repressalien gegen ihre Familien ihnen keine andere Möglichkeit ließen, als ihre Einberufung zu akzeptieren. Und trotzdem fehlen die Malgré-nous immer noch in den Geschichtsbüchern Frankreichs, wie engagierte Bürger kritisieren.

Man zwang sie, gegen ihr Vaterland, gegen ihr Gelöbnis und gegen ihr Gewissen zu kämpfen.

Von deutscher Seite ist keine Entschuldigung gegenüber den Malgré-nous dokumentiert. Jedoch hatte die BRD 1981 zusammen mit Frankreich die Stiftung "Fondation Entente Franco-Allemande" (Fefa) gegründet. Ihr Ziel war die finanzielle Entschädigung der Malgré-nous. Die rund 80.000 Überlebenden erhielten mit rund 3.500 DM pro Person aber eher eine symbolische Entschädigung. Einen Anspruch auf eine deutsche Rente haben sie nicht.

Warum zogen die Nationalsozialisten Franzosen aus dem Elsass ein?

Die französischen Départements Moselle, Bas-Rhin und Haut-Rhin wurden nach dem deutschen Einmarsch im Mai 1940 umgehend in das Deutsche Reich eingegliedert und als deutsches Territorium behandelt. Die Elsässer und Lothringer galten für die Nationalsozialisten als "Volksdeutsche". Zunächst sei für einen freiwilligen Eintritt in Waffen-SS und Wehrmacht geworben worden, wie Historiker festgestellt haben. Das sei allerdings ohne nennenswerten Zulauf geblieben. Heute spricht man von rund zwei Prozent, die sich freiwillig meldeten.

Schließlich führte die NSDAP die Wehrpflicht im annektierten Elsass und Lothringen ein - wie auch im besetzten Luxemburg, Westpolen und in Teilen Sloweniens. Sie sollte die Einbindung der Elsässer und Lothringer an NS-Deutschland vervollständigen. Im August 1942 zwangsrekrutierten die Nationalsozialisten dann Tausende elsässische und lothringische Männer, selbst wenn sie zuvor schon in der französischen Armee gedient hatten. Darunter vor allem junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren.

Das Straßburger Münster ist voll besetzt. Nach langem Schweigen wurden die Malgré-nous dort geehrt.
Nach langem Schweigen wurden die Malgré-nous im Straßburger Münster geehrt. Initiiert hat das Jean-Louis Spieser. Er ist pensionierter Lehrer und wollte "die letzten Malgré-nous nicht in der allgemeinen Gleichgültigkeit gehen lassen".

NS-Justiz verurteilte französische Deserteure zum Tod

Unter den Zwangsrekrutierten war auch Charles, ein junger Bauer aus dem Sundgau. Die Nationalsozialisten hatten ihn im letzten Kriegsjahr von der NS-Militärjustiz zum Tode verurteilt. Die Zeit überdauert hat sein letzter Brief: "Liebe, liebe Eltern. (...) Heute, am 15. August 1944, am Tag von Mariä Himmelfahrt, wurde ich zum Tode verurteilt. Noch ein paar Stunden, dann werden die Kugeln meine junge Brust durchbohren. Mit Tränen in den Augen nehme ich Abschied von den Wundern dieser Welt, die ich nie wieder sehen werde". Seine Schwester war ebenfalls zur Ehrung ins Straßburger Münster eingeladen.

Heute spricht man von rund 130.000 Malgré-nous, die von den Nationalsozialisten zwangsrekrutiert wurden. Hinzu kommen die jungen Männer, welche in unbesetzte Gebiete flüchteten oder sich jahrelang versteckten.

Über die Ehrung der Malgré-nous in Straßburg berichtete die Sendung "Dreiland Aktuell" am 19.04.2025, 18 Uhr, in SWR Aktuell Baden-Württemberg. 

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