Turnen | Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe

DTB-Vorstandschef Zinnkann: "Die Sache ist relativ teuer"

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Von Autor/in Johannes Seemüller

Silber-Sensation für die deutschen Turnerinnen bei der Heim-EM. Hinter den Kulissen läuft die Aufarbeitung des Turn-Skandals. Die kann teuer werden, sagt DTB-Vorstandschef Kalle Zinnkann.

SWR Sport: Kalle Zinnkann, Deutschlands Turn-Ass Helen Kevric hat ihre EM-Medaille ihren gekündigten Trainern in Stuttgart gewidmet. Kevric sowie die Mannheimer Turnerinnen Silja Stöhr und Janaoh Müller haben sich zuletzt zu den Vorwürfen personaler Gewalt geäußert. Die Turnerinnen fühlen sich nicht als Missbrauchsopfer, sie vermissen vielmehr ihre Trainerinnen, beziehungsweise Trainer. Wie beurteilen Sie diese aktuellen Aussagen?

Kalle Zinnkann: Es spiegelt ziemlich genau das wider, was ich Anfang Januar schon gesagt habe. Wir haben viele Gespräche in Stuttgart und auch in Mannheim geführt, und es zeigt sich ein sehr differenziertes Bild. Die Wahrnehmung ist da von jedem anders und das müssen wir akzeptieren. Es macht deutlich, warum eine unabhängige Aufarbeitung und eine Untersuchung notwendig sind, um klar zu zeigen, was ist wann, wie und wo passiert.

Trainern und Trainerinnen der drei genannten EM-Turnerinnen wurde gekündigt, beziehungsweise sie sind aktuell freigestellt. Die Freistellungen von Nachwuchs-Bundestrainerin Claudia Schunk und der leitenden Stützpunkttrainerin in Mannheim dauern jetzt schon mehrere Wochen. Wie lange können diese Ausfälle kompensiert werden?

Zinnkann: Unser Bundestrainer Gerd Wiersma trägt aktuell auch die Verantwortung für die Juniorinnen. Vor Ort in Mannheim sind zwei weitere Trainer verstärkt in das Training der Athletinnen mit eingebunden worden. Wir hoffen natürlich, dass wir bald wieder auf eine volle Trainerzahl zurückgreifen können, aber dafür sind die Untersuchungen abzuwarten und wir brauchen ein Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.

Der DTB hat die Kanzlei Rettenmaier mit der Untersuchung der Vorfälle beauftragt. Wegen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft beschränkt sich die Arbeit aktuell auf eine "Datenanalyse". Was heißt das konkret?

Zinnkann: Die Kanzlei Rettenmaier untersucht in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft die Daten und die Informationen, die beim DTB vorliegen im Hinblick auf die aufgekommenen Vorwürfe. Da wollen wir immer im Gleichschritt mit der Staatsanwaltschaft gehen. Deswegen gibt es erst Gespräche, wenn die Staatsanwaltschaft auch Gespräche beendet hat, beziehungsweise diese uns freigibt.

Wann rechnen Sie mit einem Bericht der Kanzlei?

Zinnkann: Das ist etwas, was wir im Moment überhaupt noch nicht abschätzen können. Solange die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen laufen, die ganz klar Vorrang haben, werden wir einfach abwarten müssen.

Welche Kosten entstehen dem DTB durch die Aufarbeitung? Wer übernimmt diese Kosten?

Zinnkann: Die Sache ist wahrscheinlich relativ teuer. Es geht nicht nur um die Kosten der Untersuchung und der Aufarbeitung. Da steckt noch deutlich mehr dahinter. Es geht darum, dass wir mit weiteren Trainern das Training absichern. Es geht aber auch darum, dass wir in Zukunft verstärkt noch mehr Geld in die Prävention investieren wollen. Wir werden das gemeinsam mit unseren Landesturnverbänden beim kommenden Verbandstag diskutieren. Aus dem laufenden DTB-Haushalt ist das einfach nicht zu stimmen.

Hat der DTB in den vergangenen Monaten mit betroffenen Sportlerinnen über die Missstände und deren Aufarbeitung gesprochen? Gibt es eine Bereitschaft der Betroffenen, bei der Aufarbeitung mitzuwirken?

Zinnkann: Wir haben einige Gespräche geführt. Wir werden jetzt keine Details aus diesen Gesprächen bekanntgeben. Wir wollen die Betroffenen und unsere Athletinnen und Athleten vor allem in den Aufarbeitungsprozess mit einbinden. Dieser Aufarbeitungsprozess wird eine Begleitung finden durch einen Betroffenenbeirat. Dieser kann uns dann hoffentlich unterstützen, damit das Aufarbeitungsgremium sehr transparent und unabhängig besetzt werden kann.

Personelle Konsequenzen mussten bisher allein Trainer und Trainerinnen tragen. Welche Konsequenzen ziehen die DTB-Verantwortlichen selbst daraus, dass unter ihrer Führung solche Missstände möglich waren?

Zinnkann: Wir befinden uns jetzt hier beim Turnfest. Wir haben diese Woche knapp 80.000 Teilnehmende hier, die ein Turnfest erleben wollen. Sie wollen eine Woche Sport treiben und Spaß haben. Sie wollen eine Europameisterschaft genießen, die parallel dazu stattfindet. Wir werden uns jetzt nicht im Vorfeld schon mit irgendwelchen Konsequenzen beschäftigen, zumal dazu die Ergebnisse der Untersuchung abgewartet werden müssen.

Wie groß ist die Rückendeckung für DTB-Präsident Alfons Hölzl?

Zinnkann: Da muss ich ganz klar auf die vorherige Frage verweisen. Dazu können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Antwort geben.

Gibt es beim DTB Überlegungen, die Betroffenen der Missstände in irgendeiner Form zu entschädigen?

Zinnkann: Auch hier müssen wir abwarten. Was also sind die Ergebnisse von staatsanwaltschaftlicher und anwaltschaftlicher Untersuchung? Ohne genaue Erkenntnisse ist es für uns schwierig, jetzt schon zu sagen: Diese und diese Person würde gegebenenfalls eine Entschädigung bekommen.

Wie denken Sie darüber, dass der Landessportverband BW eine eigenen Aufarbeitungs-AG installiert hat? Werden die Ergebnisse der parallel laufenden Aufarbeitungen von DTB und LSV BW später zusammengeführt?

Zinnkann: Wir werden am Schluss sicherlich eine Zusammenführung der Ergebnisse haben. Dass der Landessportverband bereits jetzt angefangen hat, ist für uns vollkommen in Ordnung. Wir haben von Anfang an gesagt, wir unterstützen das. Wir beim DTB haben ein etwas anderes Vorgehen. Wir warten jetzt erstmal ab, was die Staatsanwaltschaft sagt und machen bei uns die komplette Aufarbeitung im Anschluss an die Untersuchung.